Am 31. Mai 2018 wurde in einer bewegenden Feierstunde auf einem Urnenfeld des Stadtfriedhofs Helmstedter Straße ein Mahnmal für 27 dort anonym bestattete NS-„Euthanasie“-Opfer eingeweiht.
Außerdem wurde eine neue städtische BLIK-Gedenktafel der Öffentlichkeit übergeben. BLIK-Tafeln sind Schilder des Braunschweiger Leit- und Informationssystems BLIK und beschreiben besondere Orte oder Persönlichkeiten.
Die Tafel weist eine Besonderheit auf: Es ist die erste BLIK-Tafel in Braunschweig, die auf der einen Seite einen Text in Alltagssprache, auf der anderen Seite einen Text in Leichter Sprache hat.
Der Verbund Leichte Sprache Braunschweig hat den Text in Leichter Sprache ehrenamtlich erstellt und möchte damit ein Zeichen für leicht verständliche Sprache in Braunschweig setzen.
Warum eine Gedenktafel in Leichter Sprache?
Während der NS-„Euthanasie“ wurden Menschen mit geistigen und seelischen Beeinträchtigungen als „unwertes Leben“ ermordet. Heute gibt es die UN-Behindertenrechtskonvention, die ihr Recht auf umfassende gesellschaftliche und damit auch kommunikative Teilhabe festschreibt. Leichte Sprache ist dafür ein Schlüssel. Daher wurde die BLIK-Tafel nicht nur in komplexer Alltagssprache formuliert, sondern ihr Inhalt vor allem, aber nicht nur für diese Zielgruppe leicht verständlich zugänglich gemacht. Die Tafel in Leichter Sprache achtet damit auch gerade die Personengruppe, die letztlich von der „Euthanasie“ betroffen war.
Wer waren die Opfer?
Aus dem ehemaligen Freistaat Braunschweig wurden von 1940 bis 1941 Hunderte von Menschen in Tötungsanstalten abtransportiert und Opfer der „Euthanasie“-Aktion der Nationalsozialisten. Von vielen Ermordeten sind Verbleib und Grablage unklar oder unbekannt. Manche Urnen wurden nicht nach Braunschweig geschickt, andere wurden vermutlich in Familiengräbern bestattet.
27 namentlich bekannte NS-„Euthanasie“-Opfer wurden jedoch zwischen 1940 und 1942 auf dem Urnenfeld auf dem Braunschweiger Stadtfriedhof anonym beigesetzt.
Die Namen der Ermordeten wurden den Friedhofsunterlagen entnommen und sind in der Gedenkstätte Friedenskapelle an der Helmstedter Straße in der „Totenklage“ verzeichnet. Sie sind nun auf dem Mahnmal, einer Glasstele, zu lesen.
Wer hat das Mahnmal erarbeitet?
Die Idee für ein Mahnmal auf dem Stadtfriedhof entstand im Rahmen einer Schülerausstellung von 2014 bis 2015 in der Gedenkstätte Friedenskapelle an der Helmstedter Straße. Während der Verweilzeit des mobilen „Denkmals der Grauen Busse“ in Braunschweig im Jahr 2015 wuchs die von den Schülern initiierte Unterschriftensammlung für ein Mahnmal. Seit 2015 arbeitete eine Projektgruppe um Regina Blume (Mitglied des Vorstands der Gedenkstätte Friedenskapelle) an dem Projekt, entwickelte ein Konzept für das Mahnmal und konkrete Vorstellungen zu Form, Material und Beschriftung. Die Stadt Braunschweig, Dezernat für Kultur und Wissenschaft, hat das Mahnmal finanziell gefördert. Bereits 2001 hatte die Stadt nämlich ein Gedenkstättenkonzept beschlossen, das eine solche Erinnerungsstätte vorsah.
Wo kann man mehr über das Mahnmal erfahren?
Das Braunschweiger Mahnmal wurde in die virtuelle Sammlung Historischer Orte des Gedenkorts T4 in Berlin aufgenommen.
Hier wird es in der virtuellen Sammlung vorgestellt.
Julia Gilfert (geb. Frick), Stellvertretende Vorsitzende des Förderkreises Gedenkort T4, schilderte in ihrer Festansprache zur Einweihung des Mahnmals sehr eindringlich das Schicksal ihres Großvaters, der Opfer der NS-„Euthanasie“ wurde – ein Schicksal, über das man in der Familie jahrelang geschwiegen hatte.
Warum sind Namen wichtig?
Unter den 27 Namen der Opfer auf der Stele steht der Satz „Ein Mensch ist erst vergessen, wenn sein Name vergessen ist.“ Noch immer wird in Fachkreisen die Frage intensiv diskutiert, ob man die Namen der Opfer der NS-„Euthanasie“ öffentlich nennen soll. Insofern ist die Namensnennung auf dieser Stele ein wichtiges Zeichen.
Namen – Worte – Sprache. Sie benennen die Wirklichkeit und sollen von allen verstanden werden. Darum gibt es eine Gedenktafel in Leichter Sprache, damit auch Menschen, die nicht gut lesen können, vom Schicksal der Opfer erfahren und dieses nicht in Vergessenheit gerät.