Wir brauchen einen KI-Kodex für Leichte Sprache

Von Bettina Mikhail

 

Medienverbände haben kürzlich die Paris-Charta zu KI und Journalismus vorgelegt. Die Paris-Charta ist ein Grundsatzpapier zum Umgang mit künstlicher Intelligenz (KI) im Journalismus. Der Kommission, die das Grundsatzpapier erarbeitet hat, gehören 32 Persönlichkeiten aus 20 Ländern an.

Auch im Bereich der Leichten Sprache nutzen Textschaffende KI-Technologien. Künstliche Intelligenz kann sich auf die Qualität der Texte und Produkte in Leichter Sprache auswirken.

Es ist zu befürchten, dass das wirtschaftliche Potential von KI-Tools höher bewertet wird als die Qualität der mit ihrer Hilfe erzeugten Produkte.

Deshalb sind auch im Bereich der Leichten Sprache Leitlinien notwendig, um Sinn und Zweck der Leichten Sprache nicht zu gefährden.

 

Sinn und Zweck der Leichten Sprache

Leichte Sprache ist ein Instrument der Barrierefreiheit und Inklusion. Leichte Sprache soll gewährleisten, dass Menschen mit schwacher Lesekompetenz, insbesondere Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen, ihr in der UN-Behindertenrechtskonvention formuliertes Recht auf zuverlässige Informationen ausüben können. Mithilfe von Leichter Sprache sollen sie sich selbständig informieren und an der Gesellschaft teilhaben können. Die Qualität von Produkten in Leichter Sprache hat daher einen direkten Einfluss auf die Selbstbestimmung, Teilhabe, Meinungs- und Willensbildung der Zielgruppen. Wer Produkte in Leichter Sprache erstellt, hat eine soziale Verantwortung.

Menschen, die Standardsprache lesen können, haben Zugang zu einer Vielzahl von Informationsquellen. Menschen, die dies nicht können, steht derzeit eine sehr viel geringere Menge an Informationen in Leichter Sprache zur Verfügung. Der Einsatz von KI kann das Angebot in Leichter Sprache vergrößern. Es muss aber sichergestellt werden, dass die Angebote die erforderliche Qualität haben.

Deshalb müssen die Qualitätsmerkmale für Leichte Sprache erfüllt werden, die, aus der Praxis entstanden, in zahlreichen Regelwerken niedergelegt sind und durch wissenschaftliche Forschung kontinuierlich weiterentwickelt werden.

 

Die Produzenten von Leichter Sprache haben eine soziale Verantwortung

Produkte in Leichter Sprache wurden bisher manuell von qualifizierten Fachleuten für Leichte Sprache in Zusammenarbeit mit Vertretern und Vertreterinnen der Zielgruppen erstellt. Diese Fachleute – Textende und Gestaltende – sind in Leichter Sprache ausgiebig geschult und haben im Idealfall ausreichend Erfahrung sowohl mit der Erstellung solcher Produkte als auch mit den Bedürfnissen der Zielgruppen.

Wenn diese Fachleute KI als unterstützendes Arbeitsmittel in einem vielschrittigen Arbeitsprozess einsetzen, ist – hoffentlich – davon auszugehen, dass sie mit von der KI generierten Texten – und vielleicht sogar Bildern – umgehen können. Fachleute wissen, dass ein gutes Produkt in Leichter Sprache mehr erfordert als automatische Text- und Bildgenerierung.

Wer Produkte in Leichter Sprache erstellt, hat eine soziale Verantwortung, die sich für Fachleute der Leichten Sprache in gemeinsamen Bestrebungen und Werten ausdrückt. Der Einsatz von KI muss mit diesen Bestrebungen und Werten in Einklang stehen. Es ist zu befürchten, dass zunehmend Laien KI für die Erzeugung von Produkten in Leichter Sprache nutzen, und dass es aus Kostengründen zu vermehrtem Einsatz von unreflektiert mit KI erzeugten Texten kommt. Wer KI für die Leichte Sprache einsetzt, muss sich verpflichten, die KI nicht unkontrolliert einzusetzen.

Es reicht auch nicht, durch KI automatisch erstellte Texte in Leichter Sprache zu kennzeichnen, um Qualitätsanforderungen zu umgehen. Auch wenn die Zielgruppen dadurch die Quelle erkennen können, können sie misslungene Produkte nicht nutzen.

 

Vorschläge für einen KI-Kodex für Leichte Sprache

Folgende Leitlinien sind als Vorschlag und Anregung gedacht. Sie können Grundlage für einen KI-Kodex für Leichte Sprache sein, dem sich alle, die KI-Anwendungen für die Leichte Sprache einsetzen, verpflichten, z.B. Kommunen, Behörden, Institutionen, Versicherungen, Banken und Unternehmen.

 

  1. KI-Systeme für die Leichte Sprache sind unterstützende Arbeitsmittel, die bei der Erstellung von Produkten in Leichter Sprache eingesetzt werden können, dann aber verantwortungsbewusst.

 

  1. Der Einsatz von KI-Systemen für die Leichte Sprache wird bewusst und informiert entschieden. KI-Anwendungen für Leichte Sprache werden vor ihrem Einsatz bewertet, ob mit ihrer Hilfe die Qualitätsstandards der Leichten Sprache eingehalten werden können. Dazu werden Fachleute für die Leichte Sprache beteiligt, die einschätzen können, welche Anwendungen tauglich sind und welche nicht.

 

  1. Künstliche Intelligenz wird nicht eingesetzt, um die qualifizierte Arbeit von Fachleuten für Leichte Sprache zu ersetzen und einzusparen.

 

  1. KI-generierte Produkte in Leichter Sprache werden nicht ohne die Beteiligung von qualifizierten Fachleuten für Leichte Sprache sowie Vertreter*innen der Zielgruppe veröffentlicht.

 

  1. Wer KI-Anwendungen für die Erstellung von Produkten in Leichter Sprache einsetzt, muss vorher in Leichter Sprache geschult werden.

 

  1. Die gängigen Qualitätsanforderungen für Produkte in Leichter Sprache werden eingehalten. Wenn dies nicht durch eigene Ausbildung in Leichter Sprache möglich ist, werden dafür Fachleute eingesetzt.

 

Ausblick

Der Umgang mit KI-Anwendungen muss Bestandteil der Aus- und Weiterbildung von Fachkräften für Leichte Sprache werden. Ausbildungsstätten sind aufgerufen, entsprechende Inhalte in ihr Bildungsangebot aufzunehmen. Dazu gehören die Nutzung und der verantwortungsvolle Umgang sowie die möglichen Risiken der KI.

KI-Anwendungen arbeiten mit Daten und Inhalten, für die die Urheber und Urheberinnen in der Regel keine Vergütung erhalten haben. KI-Unternehmen müssen daher gesetzlich verpflichtet werden, über eine Vergütung die Urheber und Urheberinnen von Produkten in Leichter Sprache an der Entwicklung von KI-Anwendungen zu beteiligen. Der Gesetzgeber ist aufgerufen, dafür Regelungen zu schaffen.