Mit künstlicher Intelligenz zu Leichter Sprache – oder: Quo vadis, Leichte Sprache?

von Bettina Mikhail

 

Seit es KI-Tools für die Leichte Sprache gibt, ist die Versuchung groß, diese auch zu nutzen.

Werbung wie

  • „Leichte Sprache auf Knopfdruck“
  • „Mit einem Klick barrierefrei und verständlich“
  • „XY kann deine Texte vollautomatisch vereinfachen“
  • „Innerhalb von Sekunden vereinfacht XY deinen Text“

verspricht DIE Lösung, um gesetzliche Anforderungen oder freiwilliges Engagement für die Zielgruppen der Leichten Sprache nun ganz easy in die Tat umzusetzen.

Kein Umweg über Dienstleister*innen, keine langwierigen Vergabeverfahren, geringe Kosten – das scheinen die Vorteile solcher Tools für jene zu sein, die Texte in Leichter Sprache zur Verfügung stellen müssen oder möchten. Aber ist das wirklich so?

Die Anbieter dieser auf Leichte Sprache zugeschnittenen KI-Tools haben die Leichte Sprache in die Mitte der Gesellschaft geholt und die Leichte Sprache sexy gemacht – weg vom Image der karitativen Leistung für einen begrenzten Personenkreis, hin zu einem mit modernster Technologie zu erzielenden Produkt für Inklusion und Teilhabe von Millionen Menschen. Das ist eine sehr schöne Entwicklung. Und doch habe ich dabei ein Störgefühl.

Sind die Texte, die sich mit diesen Tools erstellen lassen, tatsächlich so, wie Leichte Sprache sein sollte?


Qualitätsstandards für Leichte Sprache

Schon bevor es KI-Tools für die Leichte Sprache gab, waren die Qualitätsunterschiede bei Texten in Leichter Sprache groß. Der Branche ist es bisher nicht gelungen, einheitliche, verbindliche Qualitätsstandards festzulegen. Jeder weiß, wie richtiges Französisch geht. Aber die Ansichten darüber, was „richtige“ oder „gute“ Leichte Sprache, auch in der Abgrenzung zur Einfachen Sprache, ist, gehen auseinander. Das verwirrt auch und vor allem diejenigen, die solche Texte in Auftrag geben müssen oder möchten. Ganz abgesehen davon, dass es auch, wie überall, schwarze Schafe in der Branche gibt, die an ihre eigenen Texte keine hohen Ansprüche stellen und auch schon mal schnell gemachte Leichte-Sprache-Attrappen verkaufen.

Es gibt aber einige Grundpfeiler, die sich in den verschiedenen Regelwerken für die Leichte Sprache wiederfinden:

Leichte Sprache ist maximal vereinfachtes Deutsch mit maximal vereinfachter Grammatik und maximal vereinfachtem Wortschatz. Durch diese sprachliche Vereinfachung sowie spezifisches Layout, Gestaltung und Bebilderung ermöglicht Leichte Sprache jenen Menschen den Zugang zu Informationen, die aus unterschiedlichen Gründen standardsprachliches Deutsch nicht lesen und verstehen können. Diese Personen können bei standardsprachlichen Texten lediglich einzelne Wörter, aber keine Sätze, oder einzelne Sätze, aber keine zusammenhängenden Texte lesen und verstehen. In Deutschland gibt es einer Studie zufolge davon mindestens 6,2 Millionen Menschen, und ich würde sagen: Tendenz steigend.

Ein weiterer Grundpfeiler der Leichten Sprache ist, dass die Zieltexte von Personen aus der Zielgruppe – den Testleser*innen – auf ihre Verständlichkeit geprüft werden sollten. Derzeit wird diese Aufgabe hauptsächlich von Menschen mit kognitiven Einschränkungen übernommen, denn die Hauptzielgruppe von Leichter Sprache sind neben vielen anderen Zielgruppen Menschen mit kognitiven Einschränkungen.

 


Leichte Sprache: eine qualifizierte Dienstleistung

Um einen adäquaten Text in Leichter Sprache zu erstellen, sind also Erfahrung, Fachkenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten unterschiedlichster Art erforderlich. Deshalb arbeiten hier auch häufig Dienstleister*innen verschiedener Disziplinen zusammen: Übersetzer*innen, Gestalter*innen, Prüfer*innen.

Da es sich um qualifizierte Dienstleistungen handelt, müssen die Auftraggeber*innen dieser Dienstleistungen dafür Geld in die Hand nehmen. Das Problem: Auf den ersten Blick kann man mit den fertigen Texten in Leichter Sprache als Anbieter*innen kein Geld verdienen. Texte in Leichter Sprache sind keine Medikamente, deren Forschungs-, Entwicklungs- und Herstellungskosten Milliardenumsätze generieren. Der Nutzen von Texten in Leichter Sprache für die Anbieter*innen ist indirekt – Bürgerfreundlichkeit für Behörden, weniger Rückfragen für Produkthersteller, Erschließen neuer Zielgruppen für Museen und Verlage, Erleichterung von Bildungsteilhabe im inklusiven Unterricht, um nur einige zu nennen. Der Nutzen für die Zielgruppen dagegen ist gewaltig: Leichte Sprache ist ihr Schlüssel zur Welt.

Was bedeutet das für den Einsatz von KI-Tools?

 


Viele Wege führen nach Rom – oder nicht?

KI-Tools erzeugen aus einem standardsprachlichen Ausgangstext einen mehr oder weniger guten Zieltext in Leichter Sprache. Wenn man so will: auf Knopfdruck, ja. Man gibt den Ausgangstext in ein Fenster ein, klickt auf „Übersetzen“ oder „Vereinfachen“, und in einem zweiten Fenster erscheint ein neuer Text.

Nun gibt es bei Leichter Sprache  aber selten 1:1-Entsprechungen zur Standardsprache – weder auf Wortebene, noch auf Satzebene, ja nicht einmal auf Textebene. Es entstehen völlig neue Texte. Insofern trifft es der Ausdruck „Übersetzen“ eigentlich auch nicht richtig.

Um aus einem standardsprachlichen Ausgangstext einen Text in Leichter Sprache zu machen, gibt es nun sechs verschiedene Methoden:

Methode Nr. 1

In Leichter Sprache ausgebildete Textschaffende übertragen den Ausgangstext nach den Regeln und Empfehlungen der Leichten Sprache manuell in einen Zieltext. Dieser wird anschließend bebildert, gestaltet und geprüft.

 

Methode Nr. 2

In Leichter Sprache ausgebildete Textschaffende lassen sich bei der manuellen Übertragung von einem KI-Tool punktuell unterstützen – bei einzelnen Wörtern oder Textpassagen. Anschließend wird der Text wieder bebildert, gestaltet und geprüft.

 

Methode Nr. 3

In Leichter Sprache ausgebildete Textschaffende lassen von einem KI-Tool eine Vorübersetzung erstellen, die sie redaktionell nachbearbeiten. Im Anschluss wird der Text bebildert, gestaltet und geprüft.

 

Methode Nr. 4

Wer Texte in Leichter Sprache anbieten muss oder möchte – auch jene, die sich mit Leichter Sprache nicht oder wenig auskennen – lässt von einem KI-Tool einen Text erstellen, den er oder sie geringfügig sprachlich nachbearbeitet. Danach wird der Text herausgegeben.

 

Methode Nr. 5

Wer Texte in Leichter Sprache anbieten muss oder möchte, lässt sich von Fachleuten für die Leichte Sprache begleiten. Er oder sie erfährt, wie man die Ausgangstexte für die KI-Übersetzung vorbereiten kann (Pre-Editing), lässt hausintern vom KI-Tool einen Text  erstellen, bearbeitet diesen im Rahmen der Möglichkeiten nach und übergibt den Text an externe Fachleute. Diese prüfen, ob die Regeln der Leichten Sprache eingehalten wurden, ob die Texte sinnvoll aufgebaut und strukturiert sind, bebildern, gestalten und prüfen (Post-Editing und nachfolgende Arbeitsschritte).

 

Methode Nr. 6

Wer Texte in Leichter Sprache anbieten muss oder möchte, lässt Mitarbeiter*innen in Leichter Sprache ausbilden oder stellt jemanden ein, der oder die sich damit auskennt, und weiter geht’s mit Methode 1, 2 oder 3.

 

Finden Sie sich hier irgendwo wieder? Ich denke, es ist deutlich geworden, dass Methode Nr. 4 nicht zu adäquaten Texten in Leichter Sprache führt. Zielgruppengerechte Texte in Leichter Sprache lassen sich nicht mal eben auf Knopfdruck über KI-Tools erzeugen. Und ich rate davon ab, diese Methode in Zukunft zu nutzen, um vermeintlich schnell und billig Texte in „Leichter Sprache“ zu erzeugen. Denn damit würde man den Zielgruppen der Leichten Sprache einen Bärendienst erweisen.

KI-Tools können aber durchaus als hilfreiches Werkzeug für einzelne Arbeitsschritte eingesetzt werden. Damit am Ende zielgruppengerechte Texte in Leichter Sprache entstehen, sind redaktionelle Nacharbeit, zielgruppengerechte Gestaltung und sinnvolle Bebilderung sowie Prüfung durch Testleser erforderlich.

 

„Wenn einer, der mit Mühe kaum, geklettert ist auf einen Baum, nun meint, dass er ein Vogel wär, so irrt sich der.“

Wilhelm Busch