Von Bettina Mikhail, Verbund Leichte Sprache Braunschweig
Es gibt immer mehr Texte in Leichter Sprache. Das ist erfreulich. Personen mit Leseschwierigkeiten können sich mit Leichter Sprache eigenständig informieren, Entscheidungen treffen und an der Gesellschaft teilhaben.
Von den Texten können sie jedoch nur profitieren, wenn sie gut gemacht sind. Texte in Leichter Sprache sollten vor allem gut wahrnehmbar, lesbar und verständlich sein und ihre Funktion erfüllen. Doch das ist leider häufig nicht der Fall. Für Leichte Sprache gibt es Regelwerke und Empfehlungen. Die Forschung beschäftigt sich mit dem Thema. Viele Siegel von verschiedenen Institutionen versprechen gute Qualität. Schaut man sich aber genauer um, so begegnen einem im Laufe eines Tages häufig mehr schlechte als wirklich gut gemachte Texte in Leichter Sprache. Woran liegt das? Wir haben die wichtigsten Gründe zusammengestellt und überlegt, warum Auftraggeber solche Texte akzeptieren.
- Gut gemeint: Do-it-yourself-Texte
Es ist ein Irrtum, dass man Leichte-Sprache-Texte im Do-it-yourself-Verfahren erstellen kann. Der Laie hat nur eine vage Vorstellung davon, wie ein Text in Leichter Sprache aussehen könnte, formuliert drauf los und verpasst dem Ganzen die Überschrift „Leichte Sprache“. Solche Texte entstehen beispielsweise, wenn ein kleiner lokaler Verein es gut meint und seine Aktivitäten in Leichter Sprache kommunizieren möchte. Der Verein meint es ernst mit der Inklusion, kennt sich aber leider mit Leichter Sprache nicht richtig aus.
- Leichte Sprache will gelernt sein
Wenn Texte nicht von professionellen Textspezialisten geschrieben werden, leidet automatisch die Qualität. Quereinsteiger mit fachfremder Ausbildung bringen häufig nicht die erforderlichen Qualifikationen mit. So schicken beispielsweise Behörden ihre Mitarbeitenden zu Workshops und Seminaren, damit sie die Leichte Sprache erlernen und Texte selber schreiben können. So will man Kosten sparen, weil man keine externen Übersetzungsbüros beauftragen will. Aber in kurzen Seminaren kann man sich nur einen Überblick zu den Grundlagen verschaffen, nicht aber die Leichte Sprache an sich lernen, ganz zu schweigen von den Grundlagen der professionellen Text-, Übersetzungs- und Gestaltungsarbeit. Dazu sind eine spezielle Ausbildung oder zumindest intensive Schulungen erforderlich. Auch in Übersetzungsbüros für Leichte Sprache arbeiten mitunter Quereinsteiger und keine Textspezialisten.
- In aller Regel…
Es gibt Regelwerke und Empfehlungen für die Leichte Sprache. Wer Texte in Leichter Sprache schreibt, sollte sich an diese halten, auch wenn sie manchmal im Detail voneinander abweichen. Die Forschung nimmt zwar mittlerweile einzelne Regeln genauer unter die Lupe und möchte einige bisher geltende, aus der Praxis entstandene Regeln differenzierter angewendet sehen. Es gibt aber keinen Grund, elementare Grundlagen zu missachten. Ein Text, in dem viele Nebensätze, abstrakte Begriffe und viele Passivformulierungen vorkommen, ist kein Text in Leichter Sprache, auch wenn ein Siegel dies suggeriert. Dann muss jemand am Werk gewesen sein, der die Regeln und ihre Umsetzung nicht beherrscht.
- Ein Bild sagt mehr als Worte
Texte in Leichter Sprache sollten möglichst bebildert werden. Eine gute Bebilderung kann Textinhalte verdeutlichen und erklären. Dafür gibt es verschiedene Möglichkeiten. Diese haben Vor- und Nachteile. Wer Texte in Leichter Sprache ganz ohne Bebilderung schreiben möchte, muss wirklich alle anderen Register ziehen. Dies ist nicht immer der Fall. Schlecht gemachte Textwüsten ohne Bilder nützen niemandem. Zu viele Bilder machen einen Text auch nicht einfacher. Alles „nur“ schön bunt zu machen erhöht die Komplexität. Ein gezielter Einsatz von aussagekräftigen Bildern an der richtigen Stelle ist wesentlich hilfreicher.
- Setzen, sechs!
Wenn Auftraggeber mit Layoutern und Gestaltern arbeiten, die sich mit Leichter Sprache nicht auskennen, setzen diese den Text nach eigenem Gusto um: Farbelemente, grafische Illustrationen und die Anordnung von Wort und Bild entsprechen häufig nicht den Anforderungen an Texte in Leichter Sprache. Dies erhöht ebenfalls die Komplexität und schadet beispielsweise der Verständlichkeit. Aber auch das übliche Standardlayout von Leichte-Sprache-Texten – ellenlange, listenartige Textabschnitte mit manchmal ungeeigneten Bebilderungen – kann die Texterschließung erschweren.
- Balanceakt: Inhalte vereinfachen
Auch Texte in Leichter Sprache können schwer zu verstehende inhaltliche Zusammenhänge enthalten. Wenn nach dem Lesen eines Textes in Leichter Sprache noch Fragen offen bleiben, kann dies an der Erklärtiefe des Textes liegen. Eine wichtige Zielgruppe von Leichter Sprache sind Menschen mit Lernschwierigkeiten („Menschen mit geistiger Beinträchtigung“, „Menschen mit kognitiver Behinderung“). Inhalte müssen adressatengerecht vermittelt und an das Weltwissen der Leserschaft angepasst werden. Fatal wird es, wenn Inhalte im Zieltext durch die Vereinfachung verfälscht werden. Die Vereinfachungen des Ausgangstextes müssen inhaltlich mit dem Auftraggeber abgestimmt werden.
- Respekt!
Zu starke Vereinfachung der Inhalte, Übergriffe in der Wortwahl (z.B. die Formulierung „Das schwere Wort dafür ist…), Duzen und kindliche Bebilderung sind nicht adressatengerecht: Leichte Sprache ist keine Kindersprache, sondern richtet sich an Erwachsene. Deshalb sollten der Schreibstil und das gesamte Erscheinungsbild von Respekt und Wertschätzung gegenüber der Leserschaft geprägt sein.
- Geprüft und für gut befunden?
Häufig wird im Impressum bescheinigt, dass der Text in Leichter Sprache von einer Prüfgruppe geprüft wurde. Prüfgruppen sollen Texte auf Verständlichkeit prüfen. Mit dieser Aufgabe werden zumeist Menschen mit Lernschwierigkeiten betraut. Damit repräsentieren sie allerdings nur eine von mehreren Zielgruppen der Leichten Sprache. „Geprüft“ soll heißen: Dieser Text wurde als verständlich und gut befunden. Bei der Arbeit mit einer Prüfgruppe kann aber auch manches schief laufen. Die Zielgruppenprüfung ist nur einer von mehreren Bausteinen der Qualitätssicherung – wenn sie der einzige ist, kann das problematisch sein. Zielgruppenprüfung ist subjektiv, nicht konsistent, und Prüfer können einen schlecht übersetzten Text nicht gut machen. Das Prüfen von Texten erfordert ein durchdachtes Prüfmanagement. Standards dafür werden aktuell erst noch entwickelt.
- Vier Augen sehen mehr
Prüfer können auch nicht gewährleisten, dass der Inhalt eines Ausgangstextes richtig in Leichte Sprache übertragen wurde, denn sie können den Ausgangstext nicht lesen. Sie können auch nicht überprüfen, ob der Text regelkonform geschrieben wurde und alle anderen Anforderungen erfüllt. Es kommt offenbar vor, dass keine Kontrolle des Zieltextes stattfindet, bevor er von einer Prüfgruppe auf Verständlichkeit geprüft und durchgewunken wird. Das Vieraugenlektorat durch einen zweiten Textspezialisten hat sich im Übersetzungsprozess bei Leichter Sprache noch nicht etabliert.
- Content Mis-Management
Auch ein gut geschriebener Text wird „zerschossen“, wenn er unbedacht auf eine Internetseite gestellt wird. Die technischen Standardeinstellungen für das Einpflegen von Texten in Internetseiten sind auf Standardsprache ausgerichtet. Sie eignen sich selten auf Anhieb für Leichte Sprache. Wenn Vorgaben für die Leichte Sprache missachtet werden, hat das Folgen: kleine Schrift, unleserliche Schriftart, geringe Kontraste, Zeilenumbrüche an den falschen Stellen, zu kleine Zeilenabstände, unübersichtlicher, langer Text, unglücklich platzierte Bebilderung.
- Verschlimmbesserung
Auf so etwas muss man erst mal kommen: Es gibt Auftraggeber, die an gelieferten Texten in Leichter Sprache eigenmächtig Veränderungen vornehmen, die mit Leichter Sprache nichts zu tun haben. Auch kommt es vor, dass ein Text in Einfacher Sprache als Leichte Sprache deklariert wird. Das ist nicht nur eine Verletzung des Urheberrechts und eine Rufschädigung namentlich genannter Textproduzenten, sondern gerade bei Leichter Sprache im Hinblick auf die Verständlichkeit der Texte fatal.
- Eine Frage des Geldes
Wenn für die Erstellung von Texten in Leichter Sprache nur ein mangelndes oder begrenztes Budget zur Verfügung steht, sind Auftraggebern häufig die Hände gebunden. Dies ist sicherlich mit ein Grund dafür, wenn sehr preisgünstigen Angeboten der Zuschlag erteilt wird. Doch Qualität hat ihren Preis – wie auch bei jeder anderen vernünftigen Dienstleistung ist das auch so bei der Erstellung von Texten in Leichter Sprache. Es müsste mehr Geld in die Hand genommen werden, um rundum gelungene Texte zu produzieren und damit ernsthaft das Recht auf Information umzusetzen, Teilhabe für alle zu ermöglichen und damit die Gesellschaft insgesamt zu stärken.
Soweit zu den wichtigsten Gründen, weshalb man immer wieder auf schlecht gemachte Texte in Leichter Sprache stößt. Doch warum akzeptieren Auftraggeber schlecht gemachte Texte? Wir vermuten dafür zwei Hauptgründe – und stießen kürzlich auf einen überraschenden dritten.
Wie sag ich’s meinem Kinde?
Auf dem Markt für Leichte Sprache geistert der Ausdruck „zertifizierte Übersetzung“ oder „zertifiziertes Büro“ herum. Doch die Bezeichnung „zertifiziert“ ist irreführend. Es gibt in Deutschland keine unabhängige Stelle, die Übersetzungsbüros, Einzelübersetzer oder Texte im Hinblick auf die Leichte Sprache zertifiziert und damit bescheinigt, dass allgemeingültige, einheitliche Anforderungen eingehalten wurden. „Zertifizierungen“ erfolgen immer im Rahmen von einzelnen Institutionen. Unterschiedliche Institutionen haben unterschiedliche Regelwerke, Empfehlungen, Standards und Siegel. Inwieweit die Standards befolgt werden, steht dann auch noch auf einem anderen Blatt: Nicht alle Institutionen betreiben eine stringente Qualitätssicherung. Die Beauftragung eines „zertifizierten Büros“ ist daher nicht automatisch eine Garantie für gute Qualität.
Der Markt für Leichte Sprache ist unübersichtlich geworden. Auftraggeber, die sich in der Materie nicht auskennen – und z.B. auch nicht den Unterschied zwischen Leichter und Einfacher Sprache kennen -, sind häufig überfordert, entscheiden nach dem Preis und geben dem günstigsten Angebot den Zuschlag. Es besteht Aufklärungsbedarf. Eine ausführliche und individuelle Beratung sollte immer Bestandteil der Übersetzungsdienstleistung sein.
Gesetzt den Fall, …
Die zunehmende gesetzliche Verankerung von Leichter Sprache verlangt beispielsweise von öffentlichen Stellen, auf ihren Internetseiten ein bestimmtes Angebot in Leichter Sprache zur Verfügung zu stellen. Manche Auftraggeber machen den Eindruck, lediglich den gesetzlichen Anforderungen genügen zu wollen und nicht zwingend aus Bürgerfreundlichkeit und dem wirklichen Wunsch nach Inklusion und Teilhabe zu handeln. Dann ist vordergründig der Preis das entscheidende Kriterium für eine Auftragsvergabe, nicht die Qualität einer Übersetzung. Häufig scheint auch mangelnde Aufklärung über die Leichte Sprache ein Grund dafür zu sein, günstigste Angebote vorzuziehen. Mitarbeiterschulungen und professionelle Beratung können hier sehr hilfreich sein.
Das „Anstarr-Verbot“
In ihrem aktuellen Buch „Easy Language – Plain Language – Easy Language Plus“ (Frank & Timme, Berlin 2020) beschreibt Christiane Maaß, Professorin an der Universität Hildesheim, Forschungsstelle Leichte Sprache, noch einen weiteren Grund für die Akzeptanz schlecht gemachter Texte durch die Auftraggeber. Maaß geht davon aus, dass z.B. Behörden und Ministerien nicht absichtlich schlechte Texte auf ihre Internetseiten stellen, oder dass politische Parteien nicht absichtlich schlechte Texte in Leichter Sprache drucken und verbreiten. Man muss sich also fragen, warum solche Texte veröffentlicht werden, und warum sonst übliche Kontrollmechanismen offensichtlich nicht funktionieren. Laut Maaß sei ein Mechanismus am Werk, der in der Soziologie als „Anstarr-Verbot“ bezeichnet wird. Häufig seien Texte in Leichter Sprache, die so ganz anders sind als Texte in Standardsprache, das Ergebnis eines bestimmten Produktionsprozesses: Sie werden nicht von Textspezialisten erstellt, sondern zusammen mit Menschen mit einer kognitiven Beeinträchtigung in sozialen Einrichtungen, in denen Büros für Leichte Sprache eingerichtet wurden. Die Mitarbeiter dort seien oft keine ausgebildeten Übersetzer oder Textspezialisten. Der Entstehungsprozess sei aber inklusiv und als solcher attraktiv für Auftraggeber, die auf die Einbeziehung von Menschen mit Beeinträchtigungen in Entscheidungsprozessen Wert legen und dieses auch nach außen zeigen wollen, indem sie z.B. Texte in Leichter Sprache auf ihre Internetseite stellen. Wenn nun Texte schlechter Qualität beim Auftraggeber einträfen, stießen diese laut Maaß hinsichtlich ihrer Eigenschaften auf Irritation: Die Texte seien anders als man erwartet hatte. Der natürliche Impuls wäre, genauer hinzuschauen und Fragen an die Textproduzenten zu stellen. Eine solche Reaktion sei aber im sozialen Kontext unerwünscht. Der normale Impuls, näher hinzuschauen, widerspräche der erwünschten Reaktion. In der Soziologie wird beschrieben, wie die gewünschte Reaktion aussieht: Es verbietet sich, der Beeinträchtigung des Gegenübers Aufmerksamkeit zu schenken. Die Behörde oder das Ministerium sei unsicher, wie mit den Texten umgegangen werden soll, weil Menschen mit Beeinträchtigungen daran beteiligt waren. Im Ergebnis würden die Texte nicht hinterfragt und es entstehe keine kritische Auseinandersetzung. Der Text werde so belassen, wie er ist, und durch seine Veröffentlichung legitimiert. Für die Zielgruppen der Leichten Sprache bliebe er unverständlich und trage zusätzlich zu ihrer Stigmatisierung bei.
Unser Appell an die Auftraggeber von Texten in Leichter Sprache: Informieren Sie sich im Vorfeld über Leichte und Einfache Sprache und lassen Sie sich gut beraten. Beauftragen Sie Fachleute mit der Übersetzung und Gestaltung, im Idealfall aus einer Hand. Erkundigen Sie sich nach der Qualifikation der Anbieter. Die Qualität der Texte ergibt sich in erster Linie aus der Qualifizierung der Übersetzer. Wählen Sie Ihre Anbieter danach aus, welche Qualitätskriterien sie erfüllen. Lassen Sie sich die angebotene Dienstleistung detaillieren: Welche Leistungen genau sind im Preis enthalten? Geben Sie den Text frei, bevor er einer Prüfgruppe vorgelegt wird, um inhaltliche Fehler zu vermeiden. Nehmen Sie nicht das billigste Angebot. Wer billig kauft, kauft zwei Mal ein. Qualität hat ihren Preis, den Sie dann aber nur ein Mal bezahlen. Geben Sie sich nicht mit einer Leichte-Sprache-Attrappe zufrieden, sondern verlangen Sie ein funktionierendes Original!
© Bettina Mikhail, Verbund Leichte Sprache Braunschweig, 2020