2008 trat die UN-Behindertenrechtskonvention in Kraft. Seitdem haben Menschen mit Beeinträchtigung das Recht auf barrierefreien Zugang zu Informationen durch spezielle Kommunikationsformen. Eine solche Kommunikationsform ist die Leichte Sprache.
Was bedeutet das für Internetauftritte?
Seit 2016 regelt die EU-Richtlinie 2016/2102 den barrierefreien Zugang zu Internetseiten und mobilen Anwendungen öffentlicher Stellen. Im Juli 2018, also 10 (!) Jahre nach Inkrafttreten der UN-Behindertenrechtskonvention, wurde die EU-Richtlinie in Deutschland durch Anpassung des Bundesbehindertengleichstellungsgesetzes (BGG) in nationales Recht umgewandelt: Das BGG verpflichtet Behörden der Bundesverwaltung zur barrierefreien Gestaltung ihrer Internetauftritte.
Für die Umsetzung der Richtlinie gelten Fristen. So mussten Internetauftritte, die nach September 2018 veröffentlicht wurden, bis September 2019 barrierefrei sein. Bereits bestehende Internetauftritte haben dafür Zeit bis zum 23. September 2020. Welche Anforderungen gelten, steht in der Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung BITV 2.0. Für öffentliche Stellen von Bundesländern und Kommunen wird die Barrierefreiheit über Landesgesetze und länderspezifische Verordnungen geregelt. Diese orientieren sich dabei häufig an der BITV 2.0.
Was schreibt die BITV 2.0 hinsichtlich Leichter Sprache vor?
Die aktualisierte BITV 2.0 vom Mai 2019 verlangt spätestens ab 23. September 2020 folgende Informationen in Leichter Sprache:
1. Informationen zu den wesentlichen Inhalten der Internetseite
2. Hinweise zur Navigation auf der Internetseite
3. Die wesentlichen Inhalte der Erklärung zur Barrierefreiheit
4. Hinweis auf ggf. weitere Informationen in Leichter Sprache.
Wird der Betreiber der Internetseite dadurch verpflichtet, die Inhalte seiner Internetseite in Leichter Sprache zur Verfügung zu stellen? Nein. Er wird lediglich dazu verpflichtet, in Leichter Sprache zu erklären, welche Informationen in Standardsprache auf seiner Internetseite angeboten werden und wie man diese findet. Die Informationen selbst muss er nicht in Leichter Sprache zur Verfügung stellen.
Die ersten 3 Anforderungen der BITV 2.0 hinsichtlich Leichter Sprache sind damit ein zahnloser Tiger. Sie helfen keinem, der auf Leichte Sprache angewiesen ist, sich ohne fremde Hilfe selbständig auf der jeweiligen Internetseite inhaltlich zu informieren. Personen der Zielgruppe der Leichten Sprache erfahren lediglich, was ihnen entgeht oder wofür sie fremde Hilfe in Anspruch nehmen müssten.
Ein Beispiel: Angenommen, eine städtische Internetseite hat kein inhaltliches Angebot in Leichter Sprache. Eine Person, die auf Leichte Sprache angewiesen ist, erfährt dann beispielsweise, dass sie sich unter dem Menüpunkt „Politik“ über die Arbeit der Stadtbezirksräte informieren könnte, wenn sie die in Standardsprache angebotene Information lesen könnte. Oder sie erfährt, über welche Pfade sie den Fachbereich Kinder, Jugend und Familie finden und dort einen Antrag auf Elterngeld herunterladen und ausfüllen könnte, wenn sie die Anleitung und das Formular in Standardsprache lesen könnte.
In der Barrierefreiheitserklärung stände dann, dass auf dieser Internetseite keine inhaltlichen Informationen in Leichter Sprache angeboten werden und die Barrierefreiheit in diesem Punkt nicht gewährleistet ist. Auch darüber wird die Person in Leichter Sprache informiert. Sinn und Nutzen bleiben fraglich.
Was wäre sinnvoll?
Interessant wird es erst bei der 4. Anforderung nach BITV 2.0: „Hinweis auf ggf. weitere Informationen in Leichter Sprache“. Bietet die Internetseite tatsächlich inhaltliche Informationen in Leichter Sprache an? Für diesen Glücksfall muss es dafür Hinweise geben. Möglichst aber so, dass die betroffene Person sie auch findet! Das ist nicht selbstverständlich, wird doch der Button zum Angebot in Leichter Sprache auf vielen Internetseiten in der Fußzeile untergebracht, oder die Texte in Leichter Sprache sind nicht einmal zentral zugänglich, sondern nur tief in der Seitenstruktur verborgen. Man muss sich dann erst durch Informationen in Standardsprache klicken, bevor man zufällig auf einen Text in Leichter Sprache stößt. Der Zugang wird dadurch erschwert.
Diese 4. Anforderung ist aber möglicherweise eine implizite Aufforderung, Inhalte in Leichter Sprache anzubieten. Mehr und mehr öffentliche Stellen tun dies auch. Als Dienstleister für Leichte Sprache spürt man hier, dass ein Interesse an der Sache besteht – daran, Teilhabe zu ermöglichen und einen selbständigen Zugang zu den Inhalten für jene zu schaffen, die bisher ausgeschlossen waren. Andere Anbieter wollen nur ihrer gesetzlichen Verpflichtung nachkommen und die erforderlichen Angaben nach BITV 2.0 abgehakt sehen.
Auf jeden Fall sollten insbesondere die ersten drei von der BITV 2.0 geforderten Hinweise so formuliert und präsentiert werden, dass sie trotz ihres zweifelhaften Nutzens zumindest nicht noch eine weitere Hürde darstellen: Ellenlange Texte und bildhafte Illustrationen, die von der tatsächlichen Ansicht der Internetseite abweichen, sind nicht sinnvoll. Dadurch hätte der Tiger dann zu allem Überfluss auch noch stumpfe Krallen.