Leichte Sprache in der Maizeitung 2018 des DGB Südostniedersachsen und Oldenburg:
Der Zugang zu Informationen ist ein Menschenrecht

In der diesjährigen Maizeitung des DGB Südostniedersachsen und Oldenburg informiert der Verbund Leichte Sprache Braunschweig mit einem Artikel über die Leichte und Einfache Sprache. Der Artikel ist eine gekürzte Version des folgenden ausführlichen Beitrags.

 

Der Zugang zu Informationen ist ein Menschenrecht

Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt. Ludwig Wittgenstein (1889-1951)

 

Sie lesen gerade diese Zeitung. Sie haben also Zugang zu schriftlichen Informationen, nach denen Sie handeln und entscheiden können. So ist das in unserer Wissens- und Informationsgesellschaft. Aber rund 40 % der Erwerbsfähigen in Deutschland haben diesen Zugang nicht. 21 Millionen Menschen im Alter von 18 bis 64 Jahren können nämlich nicht richtig lesen.

Leseschwäche

In Deutschland sind 7,5 Millionen Menschen „funktionale Analphabeten“. Sie können nur einzelne Wörter lesen, diese aber nicht zu Sätzen verbinden. Oder sie können zwar Sätze, aber keine zusammenhängenden Texte lesen. Weitere 13,5 Millionen Menschen haben beträchtliche Probleme beim Lesen und Schreiben (Level-One Studie 2011, Universität Hamburg). Auf eine Stadt wie Braunschweig hochgerechnet bedeutet das: Ca. 86.000 erwerbsfähige Braunschweiger können mit schriftlichen Informationen nicht viel anfangen.

Auch in den Unternehmen, vor allem im produzierenden und verarbeitenden Gewerbe, gibt es Beschäftigte mit einer Leseschwäche. Bedienungsanleitungen, Arbeitanweisungen, Gesundheitsvorschriften oder Betriebsratszeitungen sind für sie eine Hürde.

Und die nächste Generation Leseschwacher wächst heran: Laut Internationaler Grundschul-Lese-Untersuchung IGLU 2016 kann derzeit ein Fünftel der Viertklässler in Deutschland nicht richtig lesen.

Wie entsteht Leseschwäche?

Die Ursachen für Leseschwäche bei Erwachsenen sind vielfältig. Am bekanntesten ist die Legasthenie. Auch ein geringer Bildungsstand, eine geistige Beeinträchtigung oder Autismus können die Probleme verursachen. Ebenso sind viele Menschen betroffen, deren Muttersprache nicht Deutsch ist. Weiterhin kann ein Schlaganfall das Sprachzentrum beeinträchtigen (Aphasie). Wer als Kind vor dem Spracherwerb gehörlos ist, beherrscht als Erwachsener die Laut- und Schriftsprache häufig nur unzureichend. Schließlich können auch manche ältere Menschen lange Texte in kleiner Schrift nur schwer lesen und verstehen.

Leichte und Einfache Sprache

Der Zugang zu Informationen ist ein Menschenrecht, das gesellschaftliche Teilhabe ermöglicht. Davon dürfen 21 Mio. Menschen nicht ausgeschlossen bleiben. Leseschwäche muss deshalb durch Bildungs- und Alphabetisierungsmaßnahmen bekämpft werden. Gleichzeitig dürfen sich schriftliche Informationen nicht nur an den Normen deutscher Bildungssprache orientieren. In einer inklusiven Gesellschaft muss es auch niedrigschwellige Angebote geben, damit sich die Betroffenen aus gedruckten und im Internet verfügbaren Texten informieren und lernen können. Dafür gibt es Leichte und Einfache Sprache.

Standardsprachliche Texte können in Leichte oder Einfache Sprache übertragen oder Texte von vornherein leicht oder einfach formuliert werden.

Was ist Leichte Sprache?

Leichte Sprache ist maximal vereinfachtes Deutsch mit reduzierter Grammatik, einfachem Wortschatz, größerer Schrift und Bebilderung. Manche Menschen brauchen Leichte Sprache nur übergangsweise. Bei anderen lässt sich die Lesefähigkeit nicht verbessern. Für manche müssen Texte nur sprachlich vereinfacht werden, für andere sprachlich und inhaltlich.

Für Leichte Sprache gibt es Regelwerke, die vorwiegend aus der Praxis entstanden sind. Wissenschaftliche Studien, die diese Regeln bestätigen oder widerlegen könnten, gibt es bisher nur wenige. Einige dieser Regeln sind mit denen des Dudens unverträglich. Texte, die nach diesen Regeln geschrieben werden, sind grammatisch nicht immer korrekt und können daher stigmatisieren, ausgrenzen und zu Kritik und Ablehnung führen.

Die Forschungsstelle Leichte Sprache der Universität Hildesheim hat die Regelwerke einer wissenschaftlichen Analyse unterzogen. Daraus sind Hypothesen, Empfehlungen und Strategien für grammatisch korrekte Leichte Sprache entstanden.

Zur Qualitätssicherung von Texten in Leichter Sprache gibt es verschiedene Siegel. Diese bescheinigen die Anwendung von Standards verschiedener Institutionen. Man findet aber auch Texte mit einem Siegel, ohne dass die damit verbundenen Standards konsequent angewendet wurden: Manchmal steht Leichte Sprache drauf, es ist aber keine Leichte Sprache drin. Das ist gut gemeint, aber es hilft nicht wirklich denjenigen, die Leichte Sprache zur Erschließung von Informationen brauchen. Die verlässliche Anwendung von einheitlichen Standards kann zum Verständnis von Texten beitragen und eine große Hilfe sein.

Leichte Sprache ist keine deutsche Erfindung. Sie kommt aus den USA und hat vor allem in den skandinavischen Ländern einen hohen Stellenwert.

Was ist Einfache Sprache?

Einfache Sprache ist etwas komplexer als Leichte Sprache. Die Texte werden je nach Lesefähigkeiten und Wissen der Adressaten nach und nach wieder mit sprachlichen Konstruktionen, z.B. einfachen Nebensätzen, angereichert, die bei Leichter Sprache nicht verwendet werden. Für Einfache Sprache gibt es keine Regelwerke.

Die Bezeichnungen Leichte und Einfache Sprache werden häufig synonym verwendet, so dass manchmal Texte fälschlich als „Leichte Sprache“ gekennzeichnet werden, die in Einfacher Sprache geschrieben sind.

Der Verbund Leichte Sprache Braunschweig plädiert dafür, als „Leichte Sprache“ nur die maximal vereinfachte Form zu bezeichnen, die von der Forschungsstelle Leichte Sprache Hildesheim beschrieben wird.

Leicht ist nicht leicht

Texte in Leichter und Einfacher Sprache sind ein Zusatzangebot, deren Erstellung oder Übertragung eine hohe fachliche Kompetenz erfordert. Man braucht Sprach- und Sachwissen sowie Kenntnisse der lesefreundlichen Gestaltung von Texten durch Bebilderung, Layout und Design. Erkenntnisse der Verstehens- und Verständlichkeitsforschung müssen berücksichtigt und ausgewählte Regeln, Empfehlungen und Strategien für die Formulierung angewendet werden. Darüber hinaus sollten, vor allem bei juristischen Texten, Fachleute und möglichst auch Vertreter/innen der Adressatengruppe („Prüfer/innen“) die Texte gegenlesen. Das Ergebnis aber kann sich sehen lassen: Qualitativ hochwertige Texte in Leichter und Einfacher Sprache sind der Schlüssel zur Welt für all diejenigen, die nicht gut lesen können.

Adressatengerechte Texte

Leichte Sprache wurde in den 1990er Jahren in Deutschland von und für Menschen mit geistigen Beeinträchtigungen entwickelt. Sie sollte ursprünglich schriftliche Informationen für diese Zielgruppe sprachlich und inhaltlich verständlich machen. Doch von Leichter Sprache können auch andere Personengruppen mit eingeschränkter Lesefähigkeit profitieren.

Man spricht zwar von „Zielgruppen”. Diese sind aber in sich sehr heterogen, da die Lesefertigkeiten individuell unterschiedlich sind. Die Texte müssen daher an die Bedürfnisse der jeweiligen Adressaten angepasst sein.

Rechtliche Situation

Inzwischen ist Leichte Sprache ein gesetzlich verankertes Mittel, um sprachliche Barrieren abzubauen. So wird im Behindertengleichstellungsgesetz eingefordert, dass Bundesbehörden vermehrt Informationen in Leichter Sprache bereitstellen sollen. Zum 1. Januar 2018 wurde die Regelung ergänzt: Wenn Menschen mit einer geistigen oder seelischen Behinderung Bescheide, Allgemeinverfügungen, öffentlich-rechtliche Verträge und Vordrucke nicht verstehen, können sie sich diese in einfacher Form erläutern lassen oder in Leichter Sprache anfordern.

Leichte Sprache in Schule, Ausbildung und Betrieb

Sprache kann auch in Schule, Ausbildung und Betrieb eine Barriere sein. In der Schule wird meistens eine komplexe Bildungssprache verwendet. Bisher sind Lehrwerke auf Regelschüler/innen abgestimmt, die keinen sprachlichen Unterstützungsbedarf haben. Insbesondere in der inklusiven Schule sollten Lernende mit Paralleltexten in verständlicher Sprache bei Aufgaben, Prüfungen, Lehrwerken und Unterricht unterstützt werden. Leichte und Einfache Sprache eignet sich zur leistungsgerechten differenzierten Aufgabenstellung und zum Nachteilsausgleich. Dabei geht sprachliche Vereinfachung nicht automatisch mit einer inhaltlichen Vereinfachung einher.

Leichte und Einfache Sprache ist auch in der Erwachsenenbildung hilfreich. So bieten bereits Volkshochschulen Kurse in verständlicher Sprache an.

In deutschen Betrieben werden die Beschäftigtenquoten für Menschen mit Behinderung noch längst nicht erfüllt. Sollte sich das endlich ändern, entsteht ein zusätzlicher Bedarf an Angeboten in Leichter und Einfacher Sprache.

In allen Lebensbereichen gefragt

Leichte und Einfache Sprache kann und sollte in allen Lebensbereichen eingesetzt werden – von der verständlichen Infotafel an der Bushaltestelle über städtische Internetseiten bis zu leicht verständlichen Romanen. Viele Behörden, Ämter, Bildungseinrichtungen, Unternehmen und Radio- oder Fernsehmedien stellen bereits Informationen in Leichter Sprache zur Verfügung. Die Qualität der Texte lässt zuweilen noch zu wünschen übrig. Betriebs- und Personalräte sowie Vertreter/innen aus Unternehmen, Politik, Schwerbehindertenvertretungen, Gewerkschaften, Behörden und Bildung, die über Leichte und Einfache Sprache und ihre Qualitätskriterien gut informiert sind, können dafür sorgen, dass es mit dem Lesen wieder besser klappt – durch ein vielfältiges Angebot an professionell erstellten, leicht verständlichen Texten.

 

Ein Beispiel für Sachbücher in Leichter Sprache ist „Rosa Parks: Eine Frau mit Mut“ – ein Produkt vom Verbund Leichte Sprache Braunschweig und der BUXUS STIFTUNG GmbH. Hier geht es zur Lese und Hörprobe.

 

Den Beitrag finden Sie hier als PDF im Magazin der Gewerkschaften No.1 2018 auf Seite 22.